Wolfgang Seelbach
Wolfgang Seelbach

Butterwegge zum BGE: Kritik von links

Warum Christoph Butterwegge, engagieter Sozialpolitiker und Kandidat der Partei DIE LINKE für das Amt des Bundespräsidenten, gegen das BGE ist, begründet er hier in einem Statement und in einem Beitrag für focus.

 

"Vor gut vier Jahren wurde in der Schweiz eine Volksinitiative zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) gestartet, über die unsere südlichen Nachbarn am kommenden Sonntag abstimmen.

Das bedingungslose Grundeinkommen soll allen Bürgern monatlich unabhängig von ihrer Einkommens- und Vermögenssituation als gleich hoher Geldbetrag ausbezahlt werden, ohne dass sie im Gegenzug einem Arbeitszwang unterlägen.

Durch ein Grundeinkommen, das laut dem zur Abstimmung stehenden Verfassungstext „der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen“ soll, würde sich die Gesellschaft ebenso wie das Sozialsystem der Schweiz tiefgreifend verändern.

Ein unsozialer Pferdefuß des Konzepts

Auch wenn die Höhe des Grundeinkommens und seine Finanzierung offen bleiben und erst nachträglich per Gesetz festgelegt werden sollen, schlägt die beantragende Initiative Grundeinkommen 2.500 Schweizer Franken vor, was in Deutschland kaufkraftgewichtet ungefähr 1.500 Euro entspricht. Das verantwortliche Initiativkomitee argumentiert sehr wirtschaftsfreundlich, wenn es zur Begründung seines Vorschlags auf die digitale Revolution hinweist und konstatiert: „Die Bürokratie wird reduziert und mehr Unternehmertum möglich.“

Ein unsozialer Pferdefuß des Konzepts liegt in der Tatsache begründet, dass nur Erwerbseinkommen auf das Grundeinkommen angerechnet werden soll: Wer von Kapitalerträgen, Zinsenoder Dividenden lebt, würde das Grundeinkommen also zusätzlich erhalten, was seine Finanzierung erschwert und die Kluft zwischen Arm und Reich fast zwangsläufig vertiefen würde.

Gegensätzliche Interessen und Ziele

Hinter dem Grundeinkommen steht auch in Deutschland eine bunt zusammengesetzte Anhängerschaft, die von manchen Vertretern der Unionsparteien über erhebliche Teile der Bündnisgrünen, einzelne Sozialdemokraten, die Piraten, Männer der Kirchen, neoliberale Ökonomen sowie einzelne Großunternehmer und Topmanager bis zur äußersten Linken reicht. Ein so breit gefächertes politisches Spektrum verbindet mit einer Idee natürlich ganz unterschiedliche, teilweise sogar gegensätzliche Motive.

Manche Ökonomen verbinden mit dem Grundeinkommen die Hoffnung, weitreichende Deregulierungskonzepte durchsetzen zu können. Das bis 2014 von Thomas Straubhaar geleitete Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) etwa geht nicht bloß davon aus, dass „alle steuer- und abgabenfinanzierten Sozialleistungen abgeschafft“ würden, sondern schlug darüber hinaus vor, „alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes“ zu streichen.

Paradies für Unternehmer

„Es gibt keinen Schutz gegen Kündigungenmehr, dafür aber betrieblich zu vereinbarende Abfindungsregeln. Es gibt keinen Flächentarifvertrag mehr und auch keine Mindestlöhne, sondern von Betrieb zu Betrieb frei verhandelbare Löhne. Es gibt keine Sozialklauseln mehr. Die heute zu leistenden Abgaben an die Sozialversicherungen entfallen vollständig.“ Was vielen Erwerbslosen irrigerweise als „Schlaraffenland ohne Arbeitszwang“ erscheint, wäre in Wirklichkeit ein Paradies für Unternehmer, in dem Arbeitnehmer weniger Rechte als bisher und Gewerkschaften keine (Verhandlungs-)Macht mehr hätten.

Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird mit der Forderung nach einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert. Gleiches müsste indes gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden, damit es gerecht zugeht. Das bedingungslose Grundeinkommen tastet den privaten (Vermögens-)Reichtum aber nur an, wenn es über die Erhöhung/Erhebung von Gewinn- bzw. Vermögensteuern finanziert wird, was in den wenigsten Modellen der Fall ist.

Hohe Kosten = steigende Armut

Durch seine enormen Kosten würde das BGE außerdem die öffentliche Armut vermehren – angesichts der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ und des europäischen Fiskalpakts kein geringes Problem. Würde jeder Bürger und jede Bürgerin vom Staat beispielsweise 1.000 Euro monatlich erhalten, müsste die gigantische Summe von beinahe einer Billion Euro pro Jahr umverteilt werden. Vergegenwärtigt man sich, dass der Bundeshaushalt weniger als ein Drittel dieses Betrages umfasst, treten die immensen Realisierungsschwierigkeiten des Grundeinkommens zutage.

Stellt die Refinanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens die Achillesferse aller bekannten BGE-Modelle dar, so nährt die Ausgabenseite ebenfalls Zweifel. Denn eine Sozialpolitik, die jedem Bürger und jeder Bürgerin nach dem Vorbild einer Verteilung per Gießkanne denselben Betrag zukommen lässt, wäre nicht gerechter, sondern weniger zielgenau als die heutige. Vor allem bliebe die extreme Verteilungsschieflage unangetastet: Während das reichste Prozent der Bevölkerung über mehr als ein Drittel des Nettogesamtvermögens besitzt, gehört der ärmeren Bevölkerungshälfte gerade mal ein Prozent.

Nachteile, Risiken und Nebenwirkungen

Mehrere gewichtige Gründe sprechen gegen das Grundeinkommen. Was auf den ersten Blick unbürokratisch, einfach und großzügig erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als Irrweg, der nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Mit einer Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip würde der Staat die unterschiedliche finanzielle Leistungs- bzw. Zahlungsfähigkeit der einzelnen Gesellschaftsmitglieder einfach ignorieren. Die in der Schweiz wie in Deutschland extrem ungleiche Vermögensverteilung lässt das Grundeinkommen unangetastet. Hinzu kommt, dass ein von der Erwerbsarbeit abgekoppeltes Grundeinkommen den öffentlichen Druck, die Massenarbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen, drastisch vermindern würde.

Selbst wenn die Erwerbslosen damit materiell besser als bisher abgesichert wären, bliebe das Problem ihrer sozialen Ausgrenzung bestehen. Schließlich würde ein bedingungsloses Grundeinkommen fast zwangsläufig zu einer Abschottungspolitik der jeweiligen Regierung führen, weil mit dieser Transferleistung neue Anreize für Armutszuwanderung entstünden.

Ein Konzept nach dem Modell eines Lottogewinners

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nach dem Lebensmodell eines Lottogewinners konstruiert und erweckt den Eindruck, als wollten seine Anhänger den Kommunismus im Kapitalismus verwirklichen. Ein nicht auf Erwerbsarbeit gegründetes „leistungsloses“ Einkommen erscheint vielen Zeitgenossen zwar als schöne Utopie. Sie lenkt jedoch von konkreten politischen Schritten ab, die nicht erst in ferner Zukunft für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen könnten.

Nötig wären eine stärkere Besteuerung großer Einkommen, Vermögen und Erbschaften sowie der Ausbau des bestehenden Sozialsystems zu einer solidarischen Bürgerversicherung, in die Selbstständige, Freiberufler und Beamte genauso einbezogen sein müssten wie Abgeordnete und Minister. Als willkürliche Grenzen der Solidarität erscheinende Beitragsbemessungsgrenzen müssten auf- oder drastisch angehoben und alle Einkunftsarten – auch Zinsen, Dividenden und Miet- oder Pachterlöse – verbeitragt werden. In die solidarische Bürgerversicherung einzubetten wäre eine soziale Grundsicherung, die bedarfsgerecht, armutsfest und repressionsfrei sein müsste."

 

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